„Halte die Hände ruhig – Hände runter – Hände ausdrehen“
Die Hand folgt dem Pferdemaul
Autorin: Renate Elberich für das Schweizer Reitmagazin PASSION
Halte die Hände ruhig – Hände runter – Hände ausdrehen – diese Kommandos hört man leider noch viel zu oft von Ausbildern. Was sie erreichen wollen, ist die Idealhaltung, die in vielen Büchern dargestellt ist. Nicht nur die Haltung, sondern auch die Art und Weise, wie der Reiter die Hände bewegt, ist sehr unterschiedlich. Es ist allerdings zu beachten, dass immer die FUNKTION vor der FORM steht.
Ein Reiter-/Pferdepaar wird immer ein Individuum bleiben, es sind viele Unterschiede zu berücksichtigen.
Das eine sind die körperlichen Voraussetzungen – sowohl beim Pferd als auch beim Reiter. Das andere ist der Grad der Ausbildung – auch sowohl beim Pferd als auch beim Reiter. Und nicht zu vergessen – Menschen sind „Handwerker“ d.h. wir benutzen relativ primär unsere Hände und somit ist das Zusammenspiel des gesamten Körpers auf dem Pferd erstmal etwas mühsam zu erlernen.
Aber fangen wir mal bei Punkt eins an – die körperlichen Voraussetzungen, die ich als Ausbilderin bei Reitern beobachte, sind kurze Oberarme – oder lange, kurze Unterarme. oder auch da lange.
Eine feste Mittelpositur und verspannte Schultern (meist psychisch bedingt – nicht umsonst heißt es man trägt die Last auf den Schultern) verhindern das optimale Einlassen auf die Pferdebewegung und beeinflussen die Handhaltung.
Es gibt dann ja auch noch ängstliche Reiter, gefühlvolle, bestimmende, gestresste……….. und es gibt Pferde mit guter oder mangelnder Ausbildung, kurzen Hälsen, dicken Ganaschen, dünnen Übergängen vom Hals zum Genick – und verschiedene innere Einstellungen des Pferdes von dem, der draufsitzt.
Das Wichtigste vorneweg: die Einwirkung der Hände soll nicht dazu dienen, dass das Pferd den Kopf in einer bestimmten Haltung trägt sondern wir wollen als Reiter mit den Zügeln als Verlängerung zum Pferdemaul korrespondieren – ähnlich wie beim Morsezeichen geben mit feinen kleinen Bewegungen der Finger als Idealfall. Natürlich setzt das eine entsprechende pferdegerechte Ausbildung des Pferdes voraus – dies ist aber heute nicht der Fokus des Themas.
Für einen Moment die Hände höher getragen.
Die feste Hand
Hier handelt es sich sehr oft um ein sehr starkes Kontrollbedürfnis seitens des Reiters. Er mag nicht nachgeben, da er sonst meint die Macht zu verlieren. Ebenfalls wird die Hand oft fest, wenn der Reiter durch die auszuführende Übung überfordert ist. Stress und gar Angst erhöhen den Muskeltonus im ganzen Körper des Reiters, die Schultern verspannen und auch dies führt zu einer festen Hand. Nicht zu vergessen, dass der Reitanfänger mit noch wenig Balance sich gerne an den Zügeln festhält, um im Gleichgewicht zu bleiben. All das führt zu einem Dauerdruck auf den empfindlichen Zungenmuskel des Pferdes. Die daraus resultierenden Verspannungen beim Pferd ziehen sich über das Zungenbein hin zum Schulterzungenbeinmuskel und Brustbeinzungenbeinmuskel und somit durch die Verwobenheit der Muskeln in die gesamte Muskulatur. Die erwünschte Losgelassenheit des Pferdes geht dadurch verloren.
Für den Reitanfänger empfehlen sich hier Gleichgewichtsübungen – auch auf dem Boden, sowie das Erlernen, den Tonus der Muskeln durch Atemübungen und Training mit Smooveys, Therabändern u.ä. auch einer beweglichen Unterfläche (Trampolin, Wackelbrett, Balancepad) zu verringern. Zum Arbeiten auf dem Pferd ist ein Feststellen der Hand mit irgendwelchen Halteriemen meist kontraproduktiv, da dann die Festigkeit erhalten bleibt. Es hat sich gut bewährt, den Reitanfänger auf einem mitgeführtem Pferd zu trainieren und dabei noch ein gut sitzendes Stallhalfter mit Zügeln für ihn zu nutzen, damit der Druck nicht auf das empfindliche Maul übertragen wird. Und zusätzlich fühlt sich der Anfänger „sicher geführt“. Natürlich muss das Pferd entsprechend ausgebildet sein.
Der fortgeschrittene Reiter mit festen Händen kann dazu angeleitet werden, mit mentalen Übungen zu mehr Losgelassenheit zu gelangen. Nicht zu vergessen ist, den Reiter als Gesamteinheit zu betrachten. Ist er nicht in der Lage in der Mittelpositur einzuschwingen, werden auch hier die Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke verspannt und fest. In diesem Fall ist der Ansatz zu mehr innerer und äußerer Losgelassenheit zu gelangen – allein nur die Handgelenke zu ändern wird hier nicht funktionieren. Sollten „nur“ Schultern, Ellenbogen und Hände fest sein, kann es auch hier helfen, mit Übungen am Boden mit Flexibar, Tennisringen u.a.
Zu hohe Hand – zu tiefe Hand
Es gibt mit Sicherheit Situationen beim Reiten, in denen die Hände für einen Moment höher oder tiefer gehalten werden müssen. Das bezieht sich auf den erfahrenen Reiter, der sich mit der Ausbildung des Pferdes beschäftigt. Sollte sich ein Pferd „einrollen“ – also der reiterlichen Einwirkung entziehen, ist es unbedingt notwendig, die Hände eher „zu tief“ zu führen, um zu erreichen, dass das Pferd die Halshaltung ändert und sich wieder mit dem Kopf nach vorne bewegt.
Und so ist es auch der Situation geschuldet, die Hand mal etwas höher zu tragen, wenn ein Pferd sich in der Kopf-/Halshaltung nach oben entzieht. (Merksatz: „Die Hand folgt dem Pferdemaul“)
Wie gesagt bezieht sich dies auf den erfahrenen Reiter. Bei unerfahreneren Reitern, die schon recht gut im Gleichgewicht sitzen, sind generell zu hoch getragene Hände eher selten zu beobachten, eher doch zu tiefe. Hier tut eine Aufklärung über die Wirkung des Trensengebisses im Pferdemaul not, drückt doch die tief geführte Hand das Trensengebiss permanent auf die Zunge und das Pferd verspannt, so wie oben bereits erläutert. Gut erklärt und demonstriert. Da hilft gut eine theoretische Einheit mit einem Zaum, der dem auf einem Stuhl sitzenden Reiter über das Knie gelegt wird, sodass das Trensengebiss auf dem Schienbein liegt. Von Seiten des Ausbilders kann dann mit den Zügeln die verschiedenen Druckverhältnisse aufgezeigt werden. Dieser Reiter wird bemüht sein, die Handhaltung dahingehend zu ändern.
Verdrehte Fäuste.
Bei der verdrehten Faust kippen die Hände mit den Daumen zueinander, meist ist es nur eine Hand und ganz oft die linke Hand. Dies hat zur Folge, dass die feinen Bewegungen mit den Fingern fast nicht mehr möglich sind und somit die Hand dann feststeht oder rückwärts wirkt. Wenn das Pferd es verträgt, kann man hier auch gerne mal ein Fähnchen mit in die Hand geben. Der Reiter registriert sofort, wenn die Hand kippt (da die Fahne ja mit kippt).
Ein in Vergessenheit geratenes Element: «Daumen dachförmig auf die Faust setzen».
Daumen dachförmig auf die Faust setzen
Dieses leider in Vergessenheit geratene wichtige Element hat was mit Feinmotorik zu tun. Das kann man sofort bei sich selber ausprobieren. Liegt der Daumen flach auch der Faust verkrampfen auch die langen Muskeln und Sehnen, die an den Fingerknochen und an der Handwurzel ansetzen – legt man den Daumen dachförmig auf die Faust sind die Finger sehr gut und fein zu bewegen.
Rückwärts wirkende Handhaltung
Hier ist das Verständnis von Anlehnung noch nicht verstanden. Zum Einen erkennen wir wieder das hohe Kontrollbedürfnis des Reiters und zum Anderen die Tatsache, dass das Pferd in eine bestimmte Kopf-/Halshaltung gezwungen werden soll. Das Zusammenwirken aller Hilfen muss hier dem Reiter nahegetragen werden, die Funktionen der Gesamtheit der Muskulatur des Pferdes klar gemacht werden und auf jeden Fall auch auf die nicht tierschutzrelevante Einwirkung hingewiesen werden.
Offene Hände
Die Fäuste mit den Zügeln sollten leicht geschlossen sein. Hat der Reiter offene Hände, so ist damit die Haltung der Finger gemeint. Meist ist der Zügel hier auch gar nicht oder minimal angenommen und die Möglichkeit, mit feinen Bewegungen der Finger mit dem Pferd zu korrespondieren, nicht gegeben. Zum besseren Verständnis können auch hier Übungen auf dem Boden sehr hilfreich sein. Man setzt den Reiter auf einen Stuhl – ein weiterer ebenfalls auf einem Stuhl gegenüber. Für beide Reiter gibt es In beide Hände jeweils ein Theraband – egal welcher Farbe – und so können beide sehr gut erforschen wie eine angenehme Anlehnung stattfindet.
Gleichgewichtsübungen auf einer beweglichen Unterlage.
Fazit
Sicher entdeckt der ein und andere noch weitere Probleme mit der Handhaltung. Der erfahrene Ausbilder wird rasch erkennen, wie eine Änderung stattfinden kann.
Die Botschaft ist: Suchen Sie nicht im Spiegel nach der idealen Handhaltung, sondern erfühlen Sie sie. Und vergessen Sie nie – Ihre Hände sind die Werkzeuge Ihres Geistes.
Renate Elberich ist Pferdewirtschaftsmeisterin Bewegungstrainerin nach Eckart Meyners. Trainer A mit Zusatzqualifikation Dressur M-S und höher, Ausbildnerin in Gesundheitssport mit Pferden.
Renate ist regelmässig in der Schweiz unterwegs, sie bietet Sitzschulungen und Reitunterricht für alle Stufen an. Alle Infos unter: www.elberich.de
Bilder Christiane Slawik
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