Arbeit versus Freizeit
Arbeit mit dem Pferd ist Passion
Autorin: Theres Misar für das Schweizer Reitmagazin PASSION
Martin H. Richner ist ein Pferdemensch durch und durch. Sei es als ehemaliger aktiver Reiter in der Sparte CC (Concours complet), oder als eidg. dipl. Reitlehrer mit einem eigenen grossen Reitstall und Trainer verschiedener Turnierreiter, oder in seiner heutigen Funktion als Präsident der Swiss Horse Professionals.
Wie ist seine Sicht – basierend auf seinem grossen Erfahrungsschatz – auf die Frage, was ist Arbeit und was Freizeit für unsere Pferde? Speziell auch im Hinblick auf Reitschul-Pferde, bei welchen der Begriff „Arbeit“ den Namen verdient. Und welches sind seine prägendsten Erfahrungen und Erkenntnisse aus den unzähligen Turnieren, bei denen er teilnahm? In einem persönlichen Gespräch mit der PASSION-Redaktion nahm Martin Richner unter anderem zu diesen Punkten ausführlich Stellung.
Bei der Frage nach „Arbeit und Freizeit“ beim Pferd müssen aus meiner Sicht zwei wichtige Aspekte auseinandergehalten werden: Ist das Pferd unter der Obhut des Menschen oder in der freien Wildbahn. In der Natur gibt es die Begriffe Arbeit/Freizeit für das Pferd nicht. Um das Überleben zu sichern sind Pferde praktisch 24 Stunden auf der Suche nach Futter, Wasser, stehen Wache, oder sind mit der Fortpflanzung beschäftigt. Bei domestizierten Pferden übernimmt der Mensch all diese Funktionen und entscheidet auch über die Fortpflanzung. Wichtig ist hier, dass wir als Pferdehalter die Bedürfnisse unserer Tiere kennen und befriedigen können. Zudem müssen Pferde so erzogen werden, dass sie sich in den geltenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu benehmen wissen und nicht negativ auffallen. Diese Regeln ändern und verändern sich stetig. So kann in unserer heutigen Zeit kaum noch frei in der Natur geritten werden. Galoppieren auf Wiesen, oder im Wald die Wege verlassen ist in der Schweiz nur noch an wenigen Stellen möglich oder erlaubt. In der freien Wildbahn gymnastiziert sich das Pferd ganz von alleine durch das unterschiedliche Terrain, welches es durchstreift. Seinem Bedürfnis nach Bewegung kann es hier uneingeschränkt nachkommen. Der Mensch muss hier einen Ersatz bieten können. Sei das mit Reiten, Longieren, oder gymnastizierender Arbeit in Form von Trails und Stangenarbeit. Die hohe Kunst der Ausbildung besteht nun darin, dass Trainer oder Reiter die Ausbildung so gestalten, dass sie keinen Unwillen beim Pferd auslöst. Arbeiten resp. Pferde trainieren sollte immer Passion sein.
Wilde Pferde in Patagonien (Foto: Envato)
Das Tierwohl muss an erster Stelle stehen
Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass auch bei Menschen, die sich beruflich mit Pferden beschäftigen, der wirtschaftliche Aspekt nicht im Vordergrund zu stehen hat. Das Tierwohl muss an erster Stelle stehen, damit sich der Übergang von Arbeit zu Freizeit rund ums Pferd fliessend gestaltet.
Wenn ich auf die Zeit als Betreiber einer Reitschule zurückblicke und an die Arbeit mit den Reitschul-Pferden denke, die doch dreimal am Tag mit einem Schüler laufen mussten, so stellt sich mir heute die Frage ob es sinnvoll ist, dass ich meine besten „Mitarbeiter“, genau das sind Reitschul-Pferde nämlich, durch den eher eintönigen Reitunterricht abstumpfe, oder halte ich sie durch Abwechslung fit?
So ist es als Halter von Schulpferden Pflicht, diese so einzusetzen, dass diese ihre Motivation zur Zusammenarbeit nicht verlieren. So kann ich das gleiche Pferd in einer Einzellektion, Gruppenstunde oder für einen Ausritt nutzen und ihm damit die nötige Abwechslung bieten. Physisch kann ein Pferd sehr viel leisten, genetisch sind die Tiere für Ausdauer angelegt. Das „Stumpfmachen“ im Kopf ist ein Problem, dem im Training noch viel zu wenig Rechnung getragen wird.
Als Trainer und ehemaliger Reiter in der Vielseitigkeit wage ich zu behaupten, dass ein Pferd, welches nicht für den Leistungssport eingesetzt wird, auch nicht an seine physischen Grenzen stösst, dafür aber viel eher an seine Psychischen. Im Kopf überforderte Pferde überfordern häufig auch ihre Reiter und Reiterinnen. Mit dieser unguten Kombination entstehen dann die unschönen Bilder, welche den Sport und den Umgang mit Pferden allgemein bei der breiten Bevölkerung in ein Licht rücken, dass Fragen nach der Berechtigung oder nach Sinn und Unsinn von Pferden im Sport aufwirft.
Stehtage? Brauchen Pferde nicht
Pferde brauchen auch keine Steh-Tage, diese gibt es in der freien Wildbahn auch nicht. Pferde brauchen Weidegang und Menschen, welche mit Können, Fairness, Respekt und Nachhaltigkeit ihren Ansprüchen und Bedürfnissen gerecht werden.
Noch ein letzter, genereller Gedanke zum Pferdesport: Spitzenleistungen können nur kontinuierlich erarbeitet werden. Kein Pferd zeigt konstant gute Resultate unter Zwang und mit Druck. Nur wenn alle Komponenten wie Haltung, Reiter, Umfeld und Training stimmig sind, sehen wir Pferde in all ihrer Kraft, Schönheit und Leistungsbereitschaft.
Martin H. Richner
In der Schweizer Reiterszene kennt man Martin H. Richner als Präsident des Verbands «Swiss Horse Professionals» und als ehemaligen Besitzer und Geschäftsführer des Reitstalls «Fondli» in Dietikon. Hier unterrichtete er als Eidg. Dipl. Reitlehrer verschiedene Reiter und Reiterinnen, unter anderem auch die bekannte CC-Reiterin Theresa Stockar.
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