Was bedeutet eigentlich Dominanz?
Ein irritierendes Modewort
Autorin: Patricia Wegmann
Seit Jahren und noch immer wird im Umgang mit Pferden immer wieder gerne von „Dominanz“ gesprochen. Der Begriff “Dominanz” wurde in den letzten Jahren regelrecht zum Modewort und hat in meinen Augen zu vielen Missverständnissen oder falschen Ansichten über das Wesen – und die eigentlichen Bedürfnisse! – der Pferde geführt.
Immer wieder begegnen mir ratlose Pferdebesitzer, die Schwierigkeiten mit ihrem Pferd haben. Dann heisst es schnell: „Mein Pferd ist eben dominant“.
Tatsache ist jedoch: In all den bisherigen Jahren meiner Arbeit mit solchen Pferden ist mir noch fast nie ein wirklich dominantes Pferd begegnet! Viel mehr handelte es sich in den allermeisten Fällen eher um verwirrte Pferde. Pferde, die sich vom Menschen unverstanden fühlten, die seine Führungsqualitäten einfach nur instinktiv überprüften bzw. hinterfragten oder denen schlicht das Vertrauen in den Menschen fehlte. Und nur weil ein Pferd womöglich einen starken Charakter hat, ist es deswegen noch lange nicht dominant.
Ursprung des Wortes „Dominanz“ und der Beginn der Missverständnisse
Beginnen wir mit der Herkunft des Wortes „Dominanz“.
Die Worte „dominieren“ bzw. „Dominanz“ stammen vom lateinisch „dominus = Herr/Gebieter“ bzw. „dominare = beherrschen“ ab. Dieser Hintergrund ist wohl auch dafür ausschlaggebend, weshalb für mich persönlich die Bezeichnung „Dominanz“ einen fahlen Beigeschmack hinterlässt. Denn ich möchte meine Pferde weder beherrschen, noch ihr Gebieter sein. Viel mehr wünsche ich mir Pferde, die sich mir freiwillig anschliessen, weil sie mir VERTRAUEN.
Früher – und leider auch noch heute – ging es aber leider tatsächlich oft darum, ein Pferd zu beherrschen, seinen Willen zu brechen und ihm den Willen des Menschen aufzuzwingen, so dass es funktioniert wie ein Roboter, der seine Lektionen gehorsam abspult. Doch wo bleiben dabei die Freude und Motivation des Pferdes?
In meinen Augen ist es absolut keine Kunst ein Pferd zu beherrschen. Die Kunst besteht viel mehr darin, das Pferd als Verbündeten für sich zu begeistern.
Die Natur als Wegweiser
In einer wildlebenden Herde ist es nicht der “dominante” Hengst, der die Führung übernimmt. Obwohl das noch immer sehr viele glauben. Vielmehr ist es die erfahrene Leitstute, die für die Herde verantwortlich ist. Sie führt die Herde mit Erfahrung und Souveränität und ist für das Überleben der gesamten Gruppe verantwortlich, indem sie die Herde zu Futterstellen und Trinkwasser führt. Die Aufgaben des Hengstes bestehen in der Fortpflanzung und Verteidigung seiner Stuten, viel mehr aber auch nicht. Und zwischen Leitstute und Hengst steht der ganze Rest der Herde, also die meisten Pferde an sich.
Nur wenige Pferde erheben wirklich Anspruch auf die Führungsposition. Da diese Position immer auch mit Stress verbunden ist. Wer die Führung hat, trägt die Verantwortung für die Anderen. Das bedeutet somit im Vergleich zu einer rangniederen Position vor allem eines: Ständige Wachsamkeit und Achtsamkeit. Das rangniedere Pferd hingegen kann sich viel mehr entspannen, weil es sich und sein Leben dem Ranghöheren anvertraut hat.
Im Prinzip ist es ganz einfach: Wenn sich ein Pferd seinem Gegenüber nicht anvertrauen kann, dann sieht es sich instinktiv gezwungen, die Führung selbst zu übernehmen und somit auch Entscheidungen zu treffen. Denn trotz Domestikation geht es für das Pferd letztendlich immer um’s Überleben. Und wenn das Gegenüber nicht führen will oder kann oder schlicht nicht vertrauenswürdig ist, dann müssen sie dies gezwungenermassen selbst tun, auch wenn sie dies eigentlich noch nicht einmal wollen. Dies liegt in ihrer Natur, ihrem Instinkt.
Frage Dich also selbst: Würdest Du Dir Dein Leben anvertrauen, so wie Du Deinem Pferd begegnest?
Verhalten ist gelebte Kommunikation
Wir müssen begreifen, dass Pferdeverhalten nichts anderes ist als eine Form der Kommunikation! Pferde verfügen über keine Sprache, so wie wir Menschen. Und dennoch kommunizieren sie ständig mit uns – durch ihr Verhalten.
Widersetzlichkeit und andere für den Menschen unangenehme Verhaltensweisen sind also letzten Endes nichts anderes als Botschaften an uns und der oftmals verzweifelte Versuch uns mitzuteilen, dass etwas nicht stimmt. Der Wandlungsprozess beginnt damit, dass wir lernen zuzuhören und uns darum bemühen zu verstehen, was sie uns mitteilen möchten, worauf sie uns aufmerksam machen möchten. Denn (fast) immer liegt der Schlüssel zu einer vertrauensvollen Beziehung in den Händen des Menschen.
Vergiss nicht: Tiere kennen keine Machtspielchen – im Gegensatz zum Menschen.
0 Kommentare