Gehfreude
die perfekte Basis
Autor: Denra Dürr für das Schweizer Reitmagazin PASSION 3/2024
Die Gehfreude des jungen Pferdes ist ein kostbares Gut, zu dem wir Sorge tragen müssen. Sie ist ein wesentliches Element, dass zu einem freudvollen und erfolgreichen Ausbildungsweg beiträgt.
Sie sorgt für Leichtigkeit in der Zusammenarbeit und jedes (Reit-) Pferd wird schön, wenn es sich losgelassen und ungezwungen bewegen darf. Selbstbewusstsein, Motivation und Leistungsbereitschaft werden zusätzlich gefördert. Die Gehfreude wiederspiegelt auch die Lebensfreude eines Pferdes und lässt es von innen Strahlen. Und wenn ich diese Freude wahrnehme, strahle ich mit.
Mit Hilfe der Gehfreude fällt alles leichter!
Sie verleiht dem Pferd Flügel und lässt auch schwierige Übungen und Lektionen leicht und einfach erscheinen.
Schwierigkeiten, die im Verlaufe der Ausbildung auftreten, stehen oft im Zusammenhang mit dem Verlust der Gehfreude.
Der Reiter kann anhand der Gehfreude Rückschlüsse auf das physische und emotionale Befinden seines Pferdes ziehen. Sie kann aber auch ein Reflektor dafür sein, wie mit ihm gearbeitet wird. Kostet es den Reiter viel „Aufwand“ sein Pferd motiviert und fleissig zu erhalten, sollte man verschiedene Punkte gezielt hinterfragen.
Was es zu hinterfragen gilt
- In welchem Masse wird die Haltungsform den naturgegebenen (Pferde-) Bedürfnissen gerecht?
- Wie steht es mit Sattel, Zaumzeug, Hufpflege, Futter, Weidegang und der Gesundheit allgemein?
- Nehme ich seine physische und emotionale Befindlichkeit wahr und gehe ich darauf ein?
- Ist mein Sitz angenehm und unterstützend oder eher ein Störfaktor und eine zusätzliche Belastung für mein Pferd?Sind meine Hilfen präzise und freundlich oder diffus und herrisch?
- Gestalte ich das Training vielseitig und anregend oder eher monoton und immer nach demselben Schema?
- Setze ich mein Pferd durch meine Erwartungen, Vorstellungen und Ambitionen unter Druck?
- Gestehe ich meinem Pferd Freiheiten und Mitspracherecht im Training zu, oder will ich es auf Schritt und Tritt kontrollieren und ausschliesslich seinen Gehorsam?
- Stehe ich selbst unter Leistungs- und Erfolgsdruck und übertrage diesen auf mein Pferd?
- Bin ich eher Jäger oder eher Hirte für mein Pferd?
Erlernter Fleiss?
Ich unterscheide zwischen natürlicher Gehfreude und erlerntem Fleiss. Ein Pferd, das gehfreudig ist, ist in der Regel auch fleissig. Ein fleissiges Pferd muss jedoch nicht zwingend auch gehfreudig sein. Fleiss kann auch ein Zuchtergebnis sein oder auf Gehorsamkeit basieren. Das sind dann eher Pferde, die einen enormen Vorwärtsdrang zeigen, aber auch eine hohe Nervosität.
Ähnlich einem Kind, das die Freude am Lernen verloren hat. Allem, was es noch zu lernen gäbe, stehen Desinteresse, Langeweile, bis hin zu Widerwillen im Weg. Es lernt nicht mehr aus Neugier und Freude, sondern weil es muss und die Konsequenzen fürchtet, wenn es sich nicht fügt.
Natürliche Geh- und Bewegungsfreude
Behält ein junges Pferd seine natürliche Geh- und Bewegungsfreude bei, bedeutet dies für mich, dass es in seinem Wesen und seinen Bedürfnissen gesehen und wahrgenommen wird. Sein Wohl steht für den Reiter an erster Stelle und seine Talente und Begabungen, wie auch sein Temperament und seine Schwächen, gestalten den Ausbildungsweg mit.
Der Verlust der natürlichen Gehfreude ist für mich ein ernstzunehmendes Signal. Eine Weiterführung der Ausbildung macht in diesem Falle kaum noch Sinn, da das Fundament, das die Ausbildung trägt, fehlt. Frustration und Unmut können auf beiden Seiten die Folge sein.
Es gibt unterschiedliche Wege dieses Fundament wieder zu stärken. Was sie jedoch alle gemeinsam haben sollten sind Attribute wie Wohlwollen, Geduld, Einfühlungsvermögen, Kreativität, Ermutigung und Freude. Erhöhter Druck und strengere Massnahmen gehören nicht dazu.
Freiarbeit, Freispringen, Spaziergänge, Weidegang, wenn nötig eine längere Auszeit, Lob und Wertschätzung, ermutigende Worte und freundliche Berührung können auch zu mehr Lebensfreude und somit zu seiner Gehfreude beitragen.
Freude ist ansteckend und bei Lustlosigkeit die beste „Medizin“.
Während der Arbeit mit den Pferden Freude zu empfinden, ist aus meiner Sicht der grösste Motivator für sie und macht den Unterschied! Alles wird leichter, alles wird einfacher. Das Zusammensein und die Arbeit mit ihnen bereichert mein Leben und ich hoffe, dass es Momente gibt, in denen auch ich eine Bereicherung für ihr Leben bin.
Denra Dürr
Denra Dürr, selbständiger Reitlehrer und Ausbilder seit 1988, teilt sein Wissen und seine Erfahrungen im persönlichen Unterricht, in Kursen, Seminaren und Vorträgen, in Fachartikeln und auf seinem Blog www.intelligent-reiten.ch.
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