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Raubtierkralle oder Samthandschuh

von | 14. Apr. 2022 | 0 Kommentare

Die Reiterhand

Raubtierkralle oder Samthandschuh

Interview des Schweizer Reitmagazins PASSION mit Christoph Hess

Viele Fachartikel befassen sich mit dem Sitz des Reiters, den Schenkelhilfen oder den Hilfen im Allgemeinen. Die Hand des Reiters wird oft stiefmütterlich behandelt. Zu Unrecht. Ist die Hand doch das entscheidende Bindeglied zwischen „Hinten und Vorne“. Hinzu kommt noch das anspruchsvolle Zusammenspiel Bein/Hand. Nur mit dem Erlernen der blossen Technik ist es bei weitem nicht getan. Der Reiter muss auch lernen zu fühlen. Ein sehr sensibles Thema also. PASSION konsultierte hierzu den international anerkannten Fachmann Christoph Hess.

„Wir Menschen sind handorientierte Wesen, wir machen fast alles mit unseren Händen. Das ist für das Reiten eine sehr hinderliche Eigenschaft. Bei einem Fluchttier wie dem Pferd sollte die Einwirkung mit den Händen eine sehr untergeordnete Rolle spielen.“ (Zitat: Christoph Hess)

Raubtierkralle oder Samthandschuh

Wie genau verhält sich das Zusammenspiel Sitz, Bein und Hand in der Biomechanik des Pferdes?

Diese Frage erfordert Antworten von zwei Experten. Dem Ausbildner und dem Tierarzt. Aus der Sicht des Trainers aktiviert der treibende Schenkel die Bauchmuskulatur des Pferdes. Dadurch wird das innere Hinterbein zum vermehrten Untertreten aufgefordert. Die Sitzbeinknochen geben einen Impuls an die Rückenmuskulatur, das Pferd tritt ans Gebiss. Der sensible Reiter spürt das Zusammenspiel aller Faktoren in seinen Fingern. Das Pferd sucht das Gebiss.


Christoph Hess

Bild: Schon als Kind kam Christoph Hess mit Pferden und dem Reitsport in Kontakt. Er ritt aktiv die drei Disziplinen Dressur, Springen und Concours complet bis in die schweren Klassen. 40 Jahre war er für die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) tätig. Als Richter in Dressur sowie als Trainer und Ausbildner. Immer schon lag ihm eine harmonische und faire Ausbildung für Pferde am Herzen. Sichtbar wird dieses Anliegen an zahlreichen Workshops mit Reitern wie Uta Gräf, oder in den von ihm verfassten Büchern zur Pferdeausbildung. Sein Wissen ist jedoch nicht nur den „Grossen“ vorbehalten. Jeder Reiter kann an seinen Lehrgängen oder an Onlinekursen wie „wehorses“ Teilnehmen.


Was sind die häufigsten Fehler die wir Reiter mir unseren Händen machen?

Zu grob in der Einwirkung, nach hinten ziehende Zügelhilfen das heisst, die Paraden werden nicht aus dem Sitz eingeleitet. Zu hohe oder zu tiefe Hände. Genauso falsch ist der seitwärts ziehende Zügel beim Abwenden. Viele auch gute Reiter haben nicht wirklich einen unabhängigen Sitz und halten sich somit an den Zügeln fest, was eine feine Einwirkung unmöglich macht.

Im Gegenzug, wie sieht die ideale Handhabung aus?Mariahilf

Ich sage meinen Schülern immer, ihr müsst mit den Händen ins Pferdemaul hineinhorchen. Jegliches riegeln am Gebiss, ziehen und zu viel Abspielen ist negativ. Die Finger spielen nur ganz behutsam und einfühlsam mit dem Gebiss.
Bei gut platzierten Händen sind die kleinen Finger dichter zusammen als die Daumen. Mit den kleinen Fingern spürt der Reiter noch die Mähne des Pferdes. Ganz wichtig ist zudem ein unabhängiger ausbalancierter Sitz. Auch daran muss immer wieder gearbeitet werden. Sollte der Reiter – aus was für Gründen auch immer – sich festhalten müssen, empfehle ich den „Mariahilf-Riemen“. Dieser sollte meiner Meinung nach als Standard an jedem Sattel befestigt sein.

Die Hand ist ja nicht ein unabhängiges Körperteil, auch der Arm spielt doch beim Reiten eine Rolle. Wie verhält es sich damit?

Die Handgelenke fungieren wie Scharniere zwischen den Armen und den Händen, diese sollten locker und beweglich sein. Die Ellenbogen wirken als eine Art „Stossdämpfer“, welche unkontrollierte Bewegungen seitens des Reiters abfedern, damit diese nicht an das Pferdemaul weitergegeben werden. Beide Zügel sind gleichlang zu halten. Lockere Schultern, diese nicht hochziehen.

Was genau bedeutet die Aussage „die Hand hält nur was das Bein treibt“?

Das A und O beim Reiten sind die treibenden Hilfen. Die Hand spielt in der klassischen Reiterei nur eine untergeordnete Rolle. Solange ein Pferd nicht vor dem Bein ist, nützt alles ziehen und zerren am Zügel nichts. Nie wird der Reiter hier eine gleichmässige Verbindung herstellen können.

Handhaltung

Der Unterarm und der Handrücken sollten eine gerade Linie ergeben. Die Daumen sind Spitzdach-förmig locker auf die Zeigefinger zu legen.


Dann gibt es noch den Spruch „Hand ohne Bein, Bein ohne Hand“. Wie stellen Sie sich dazu?

Für mich macht – wie gerade beschrieben – „Bein ohne Hand“ Sinn. „Hand ohne Bein“ ist aus meiner Sicht „rückwärts reiten“, der Schwung geht verloren. Ganz wichtig beim Reiten ist das „immer an vorwärts Denken“. Also nicht gleichzeitig treiben und im Pferdemaul gegenhalten.

Was macht man bei „heissen“ und „heftigen“ Pferden? Oft wird in solchen Fällen einfach „aufgerüstet“, sprich die Zäumung verschärft.

Diese Form von „aufrüsten“ ist komplett der falsche Weg. Ich will hier keine Sparte an den Pranger stellen, aber oft wird gerade in der Springreiter-Szene zu wenig Wert auf eine umfassende Ausbildung gelegt. Und nicht selten fehlt hier die dressurmässige Gymnastizierung. Durchlässigkeit, Harmonie, Kontrolle, Schenkelgehorsam, dies alles muss erarbeitet werden.
Zum Thema „schärfere Zäumung“ möchte ich mit einem konkreten Beispiel zum Nachdenken anregen:
Ich bin ein sehr grosser Fan und Bewunderer von Steve Guerdat und Martin Fuchs. Gerade Steve ist in meinen Augen aktuell einer der besten Reiter weltweit. Sein Gefühl für jedes Pferd, seine Balance und Einstellung ist ganz grosses Können. Steve Guerdat könnte mit einer Fahrradkette als Gebiss reiten und es wäre immer noch Pferdefreundliches feines reiten. Für den normalen Reiter sind der Gebrauch von scharfen Gebissen tabu, hier fehlt das Können, das Gefühl und die Balance.

Wie wird ein abgestumpftes und im Maul hartes Pferd wieder fein?

Es braucht dafür viel Gefühl und auch Können seitens des Reiters. Als oberstes Gebot gilt, komplett weg von ziehen und rückwärts reiten. Viele Übergänge reiten und dabei immer an „Hände vor“ denken. Schenkelweichen auf gebogenen Linien und Schulterherein sind wertvolle Lektionen.

Eine Aussage von Ihnen an einem Workshop ist mir in Erinnerung geblieben:

Für Pferde ist es das Schlimmste, wenn wir vorne die Tür zu machen.

Können Sie uns das etwas genauer erläutern?

Ob ich einen Halt oder eine Piaffe reite, immer muss ich dem Pferd das Gefühl geben, dass es jederzeit nach vorne gehen kann. Das Pferd ist ein Fluchttier und es muss ihm das Gefühl gegeben werden, in jeder Situation weglaufen zu können. Hat es das Gefühl, nicht fliehen zu können, wird es ängstlich oder unruhig. Hände immer Richtung Pferdemaul, nicht Richtung eigener Körper – in jeder Lektion.

ein gut gymnastiziertes SpringpferBild: Ein gut gymnastiziertes Springpferd ist gut durch den Parcours zu steuern.

Ein immer wiederkehrendes Thema dreht sich um das Gewicht, das der Reiter in den Händen haben sollte. Hier scheiden sich die Geister. Kann diese Frage wirklich mit Gewichtsangaben beantwortet werden?

Nein, niemals können wir beim Reiten mit statischen Angaben arbeiten. Ich rede von einem positiven Druck, einer stets federnden Verbindung, aber nicht von Gewicht.

Alle möchten „fein“ reiten. Nur allzu oft gelingt das leider nicht. Und wenn, dann meist nur in kleinen Sequenzen. Was ist wichtig und worauf ist zu achten, damit feines Reiten zumindest mehrheitlich gelingt?

Im Training sollte man nicht nur die physischen Lektionen reiten. Mentales Training bei Pferd und Reiter ist essentiell. Losgelassenheit im Kopf und Balance im Körper müssen genau so erarbeitet werden wie alle übrigen Lektionen der Reiterei. Ein fortgeschrittener Reiter kann dann zur absoluten Verfeinerung auch auf Kandare reiten.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten bei der berühmten Fee, welche wären das?

  1. Lernt richtig treiben. Ich sehe so viele Reiter, die mit ihren Beinen nur „quetschen“. Lasst euch von einem guten Ausbildner erklären, wie ihr treiben müsst um eine gute Anlehnung zu erreichen. Diese Technik umfasst das ganze Bein, nicht nur die Wade. Vor dem Bein gerittene Pferde fühlen sich wohler.
  2. Wir Reiter müssen loslassen können. Die Zügel und in unseren Köpfen. Zudem wünsche ich mir, dass Reiter aller Klassen und Disziplinen am Seelenleben ihrer Pferde teilnehmen. Und üben, üben, üben.
  3. Ich wünsche mir die Lektion „Zügel aus der Hand kauen lassen und überstreichen“ in allen Prüfungen, von den Einsteigerprüfungen bis Grand Prix, national und international. Im Schritt, Trab und Galopp.

Aus meinen Erfahrungen wird zu Hause nur das geübt, was an den Prüfungen gezeigt werden muss. Mit dieser Lektion würde wieder mehr an der Selbsthaltung der Pferde gearbeitet werden.

Schon als Kind kam Christoph Hess mit Pferden und dem Reitsport in Kontakt. Er ritt aktiv die drei Disziplinen Dressur, Springen und Concours complet bis in die schweren Klassen. 40 Jahre war er für die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) tätig. Als Richter in Dressur sowie als Trainer und Ausbildner. Immer schon lag ihm eine harmonische und faire Ausbildung für Pferde am Herzen. Sichtbar wird dieses Anliegen an zahlreichen Workshops mit Reitern wie Uta Gräf, oder in den von ihm verfassten Büchern zur Pferdeausbildung. Sein Wissen ist jedoch nicht nur den „Grossen“ vorbehalten. Jeder Reiter kann an seinen Lehrgängen oder an Onlinekursen wie „wehorses“ Teilnehmen.


Das Pferd am Bein haben

Das Pferd vor dem Bein haben.

Was bedeutet dieser Ausspruch, den viele schon im Unterricht gehört oder irgendwo gelesen haben? Erreicht wird dieses Ideal aus dem Zusammenspiel von Gewichtshilfe, treibender Hilfe sowie Parade. Der treibende Schenkel veranlasst das innere Hinterbein zum vermehrten Untertreten, dann fängt der äussere Zügel mit einer Parade ab. Das Pferd wölbt seinen Rücken auf und beginnt in die Reiterhand zu ziehen. Wer einmal das Gefühl erlebt hat auf einem solchen Pferd zu sitzen, wird süchtig danach und erfährt, wie sich richtiges Reiten anfühlt.


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