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Der Sperrriemen

von | 28. Jun. 2024

Der Riemen, der den Pferden das Leben schwer macht

Eine zweckentfremdete Aufgabe

Autor: Michael Geitner (Erstveröffentlichtung auf 4my.horse am 25.3.2016)

Ich höre oft landläufige „Argumente“ für die Benutzung des Sperrriemens (Kinnriemen) wie „Mein Pferd streckt sonst die Zunge raus“ oder

Das Pferd sträubt sich sonst gegen die Trense.

Der Erfinder des Englischen Kombinationshalfters hatte ursprünglich eine wirklich gute Idee. Die Schlaufe, die vorne am Nasenband angebracht ist, wurde komplett anderes verwendet als heute. Es wurde der Riemen jeweils links und rechts durch das Gebiss, und zwar von innen nach außen, verschnallt. So konnte der Zug auf das Gebiss beschränkt werden und der Druck auf den Nasenrücken weiter gegeben werden.

Zudem fand der Sperrriemen Verwendung in der Kavallerie, wo er für die Bedürfnisse des Militärs weiterentwickelt und angepasst wurde. Um bei Stürzen zu verhindern, dass sich die Pferde durch weit geöffnete Mäuler den Unterkiefer brachen, wurde ihnen der Unterkiefer mittels Sperrriemen zugeschnürt. Dadurch verringerten sich die Kieferbrüche der damaligen Pferde um 80%.

Wahrscheinlich seit den späten 70igern kommt dem Sperrriemen nun eine sehr unglückliche, zweckentfremdete Aufgabe zu, nämlich dem Pferd das Leben schwer zu machen.

Pferde im Kriegseinsatz

Fakten

Folgende Fakten sprechen GEGEN den Einsatz des Sperrriemens:

Was der Sperrriemen sehr deutlich einschränkt und zum Teil auch stark behindert, ist das Abschlucken des Speichels. Wenn nämlich sein Maul zugeschnürt wird, kann das Pferd nicht mehr durch das leichte Öffnen des Mauls den Druck des Trensengebisses auf den Gaumen abmildern. An der Stelle, an der das Trensengebiss gegen den Gaumen drückt, sitzen aber Nervenrezeptoren, die den Schluckreflex unterbinden und den Deckel des Kehlkopfes blockieren. Dadurch entsteht das Einspeicheln des Pferdes, was also in erster Linie ein Zeichen dafür ist, dass das Pferd seinen Speichel nicht abschluckt, aber noch lange kein Hinweis darauf, dass das Pferd korrekt „durch das Genick“ geht.

Der Säurepuffer Speichel

Das kann jeder an sich selbst ausprobieren: Wenn man mit einem Löffel an den Gaumen drückt, dann kann man seinen Speichel nicht mehr abschlucken und es entsteht zudem ein Würgereiz. Neben vielen anderen Funktionen bildet der Speichel einen natürlichen Schutz der Magenschleimhäute des Pferdes. Wir wissen heute, dass etwa die Hälfte aller Pferde im Freizeitsport und sogar 80% der Pferde im Leistungs- und Hochleistungssport unter Magenproblemen leiden. Denn der Speichel erfüllt neben dem rein mechanischen Abtransport des bereits im Maul zerkauten Nahrungsbreis aus der Maulhöhle in den Magen noch eine Reihe weiterer ganz wichtiger Funktionen. Im Speichel befinden sich wichtige Mineralien, vor allem Natriumbikarbonat, das als chemischer „Puffer“ eine Übersäuerung des Magens verhindert. Fehlt nun dieser Speichel als Säurepuffer, kommt es schnell zu einer Übersäuerung des Magens.

Ist die Magenschleimhaut zum Beispiel durch Stress an manchen Stellen dünner als normalerweise, führt eine Übersäuerung des Mageninhaltes an diesen Stellen zu einem Magengeschwür, da die Magensäure – übrigens fast reine Salzsäure – an diesen Stellen die „Schutzhülle“ der Magenwände einfach wegfrisst. Dieses Problem ist NICHT zu unterschätzen, da eine Erkrankung des Magens das Pferd sehr unrittig machen kann, weil es durch Anspannung der Muskulatur immer wieder versucht, den schmerzenden Magen ruhig zu stellen, damit die Magensäure nicht so viel herumschwappt.

Das freie Kiefergelenk

Der nächste Punkt gegen den Einsatz des Sperrriemens ist die eingeschränkte Freiheit des Kiefergelenks. Man hat festgestellt, dass, wenn das Kiefergelenk nicht richtig arbeitet bzw. festgeklemmt oder festgehalten wird, die Muskulatur des Kiefers Bewegungsstöße des Körpers, z.B. beim Laufen, nicht mehr abfedern kann. Wenn wir also einen Dauerlauf mit zusammengebissenen Zähnen laufen würden, dann würden wir uns derart die Wirbel der Wirbelsäule prellen, dass wir am Abend nicht mehr wüssten, wie wir uns überhaupt bewegen sollen. Die Pferde müssen das tagaus, tagein erleiden, und die Praxis des Sperrriemens kann Gelenkschäden bis hinunter zu den Fesselgelenken zur Folge haben. Man sagt daher: Das Kiefergelenk ist der erste Halswirbel.

Neben der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule ist die Kieferfreiheit zudem ganz wichtig für die Speichelproduktion, die vor allem durch die Ohrspeicheldrüse gesteuert wird. Ein festgezogener Sperrriemen verhindert die Kieferfreiheit und das Pferd kann nicht mehr kauen. Das ist aber eine Grundvoraussetzung, um Speichel zu produzieren und abfließen zu lassen. Dem Pferd steht keine ausreichende Menge an Speichel zur Verfügung und der vorhandene Speichel kann nicht abgeschluckt werden. Und das gerade in der stressigsten Zeit, im Training. Da brauchen die Pferde ihren Speichel nämlich am nötigsten.

Zudem verläuft genau an dem Punkt, wo der Sperrriemen sitzt, die Austrittsstelle (For. Mentale) eines empfindlichen Nervs, dem Nervus mentales, der für die Haut, Muskulatur, Schleimhaut der Unterlippe, sowie für das Kinn zuständig ist.

Um es auf den Punkt zu bringen, formuliere ich das Problem des Sperrriemens folgendermaßen:

Ich würde mir wünschen, dass die verschwendete Energie, die die Pferde aufbringen (müssen), um sich gegen den Sperrriemen zu wehren, als freie zusätzliche Energie für das zur Verfügung steht, was die Pferde leisten können.

Wenn man die für den Kampf gegen den Sperrriemen eingesetzte Konzentration im Training zusätzlich zur Verfügung hätte, um sie für das Lernverhalten des Pferdes einzusetzen, dann wäre jeder, der von dieser Energie und Konzentration Gebrauch macht, gleich um Klassen besser, als derjenige Standard, den man sich mühsam gegen den Sperrriemen erkämpft hat.

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Michael Geitner
Michael Geitner
Michael Geitner richtet sich mit seinen Trainingsmethoden an Pferdefreunde aller Sparten der Reiterei und bietet auf seiner Reitanlage im bayrischen Rechtmehring sowie in verschiedenen Reitställen vor Ort unter anderem Kurse zur Dual-Aktivierung, Equikinetic oder auch zum Thema Pferde-Wissen-Kompakt an. Mit seiner Methode BE STRICT eröffnet er Reitern und Pferdebesitzern seit gut einem Jahrzehnt ein neues Verständnis für den Umgang und die Arbeit mit ihren Vierbeinern.

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Michael Geitner richtet sich mit seinen Trainingsmethoden an Pferdefreunde aller Sparten der Reiterei und bietet auf seiner Reitanlage im bayrischen Rechtmehring sowie in verschiedenen Reitställen vor Ort unter anderem Kurse zur Dual-Aktivierung, Equikinetic oder auch zum Thema Pferde-Wissen-Kompakt an. Mit seiner Methode BE STRICT eröffnet er Reitern und Pferdebesitzern seit gut einem Jahrzehnt ein neues Verständnis für den Umgang und die Arbeit mit ihren Vierbeinern.

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