Nasenriemen pferdegerecht verschnallen
Ein Pferd kann sein gesamtes Verhaltensrepertoire nur ohne Nasenriemen zeigen
Autorin: Anke Roso (erstmals am 4.11.2016 veröffentlicht auf 4my.horse)
Egal wie locker ein Nasenriemen verschnallt ist: Pferde werden damit immer an natürlichen Verhaltensmustern gehindert. So ist ein ausgiebiges Gähnen mit keinem Nasenriemen möglich; Nasenriemen schränken freies Gähnen immer ein, ein lockerer Nasenriemen ermöglicht aber zumindest einige Verhaltensweisen.
In der Studie „The Effect of Noseband Tightening on Horses Behavior, Eye Temperature and Cardiac Responses” konnte gezeigt werden, wie sich verschieden enge Verschnallungen auf das Pferd auswirken. Die Pferde gähnten allerdings in jeglicher Verschnallvariante kaum. Nachdem die Zäumung abgenommen wurde, gab es einen deutlichen Anstieg von Verhaltensweisen wie Gähnen, Schlucken und Lecken. Dies ist als Hinweis darauf zu deuten, dass Pferde diese Verhaltensweisen unterdrücken (müssen) und sie nachholen, sobald sie die Möglichkeit dazu haben.
Wie locker ist locker genug?
In der Heeresdienstvorschrift 12 steht, die Riemen sollen so verschnallt sein, „dass das Pferd noch kauen kann.“ Doch: wie weit muss ein Pferd das Maul denn öffnen können, um zu kauen? Die FN bricht es auf die sogenannte 2-Finger-Regel herunter:
Es ist genug Maulfreiheit gegeben, wenn „zwei Finger (eines durchschnittlichen Erwachsenen) zwischen Nasenrücken und Reithalfter Platz finden!“ Stimmt das? Wir möchten
die 2-Finger-Regel
kritisch beleuchten: Indiskutabel ist die Aussage, dass auf dem Nasenrücken gemessen werden muss. Die Finger werden also zwischen die mittlere Nasenlinie und den Nasenriemen oder Sperrriemen geschoben. Wer anders, also unter dem Kinn oder gar seitlich misst, misst ohne Aussagekraft. Warum das so ist zeigt diese Studie.
Erwachsenenfinger
Unklar ist aber bei dieser Aussage, was durchschnittliche Erwachsenenfinger sind. Und sind 2 Finger bei einem Pony nicht eine andere Dimension als bei einem Kaltblut? Und wichtig: Wie weit schiebt man die Finger unter den Nasenriemen? 2 Fingerkuppen sind etwas völlig anderes als 2 Finger auf Höhe des zweiten Fingerglieds.
Über letzteres scheint die FN nicht ganz im Klaren zu sein. In einem Video zum Tierschutzpreis aus dem September 2015 werden gerade einmal die Fingerkuppen unter den Sperrriemen geschoben. Das wäre viel zu wenig.
Noch nicht vorbildlich:
Genug Fragen – hier kommen Antworten
Wie weit muss ein Pferd seine Backenzähne öffnen können, um zu kauen?
Hier geht man in Fachkreisen von mindestens einem Zentimeter aus.
Woher weiß man, wie weit das Pferd seine Backenzähne auseinander bekommt? Man sieht diese schließlich nicht.
Ausgehend von einem Vollblüter-Kopf erfasst die oben genannte Studie, dass eine Lücke von 10 mm zwischen den Backenzähnen eine Distanz von 17mm zwischen den Schneidezähnen erfordert.
Je länger der Schädel, desto weiter müssen die Schneidezähne zu öffnen sein, um die 10 mm Abstand zwischen den Backenzähnen zu erreichen. Auch die individuelle Anatomie (Keilkopf oder gerader Kopf) spielt eine Rolle. Bei einem Warmblüter-Kopf sollte man von 20 mm Abstand zwischen den Schneidezähnen ausgehen, um die Backenzähne weit genug auseinander zu bekommen.
Was sind durchschnittliche Erwachsenenfinger?
Haben Sie schon einmal Ihre Finger gemessen? Die internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften entwickelte ein Messgerät. Man hielt sich dabei an in der Humanmedizin geltende Mittelwerte von Fingern und stellte fest, dass zwei durchschnittliche Erwachsenenfinger nebeneinander am 2. Glied etwa 1,6 x 3,9 cm messen.
Wie weit müssen die Finger unter den Nasenriemen geschoben werden?
Nimmt man obige Maße des „durchschnittlichen Erwachsenenfingers“ und gleicht sie mit den geforderten 17mm Abstand zwischen den Schneidezähnen ab, müssen die Finger definitiv bis zum zweiten Glied unter die Riemen geschoben werden. 2 Fingerkuppen nebeneinander sind viel zu wenig.
Ist es egal, wie fest der Nasenriemen verschnallt ist, wenn der Sperrriemen locker verschnallt ist?
Wie man hier nachlesen kann, reicht es nicht allein den Sperrriemen zu kontrollieren. Alle das Maul umschließenden Riemen müssen gleichermaßen einer Prüfung unterzogen werden.
Wenn ich nun schmalere Finger als ein durchschnittlicher Erwachsener habe – was bedeutet das in der Praxis?
Eine Frau mit relativ kräftigen Fingern wendet die 2-Finger-Regel bei ihren Vollblütern an, indem sie die Finger nebeneinander auf die Nase legt. Die Pferde können bequem kauen.
Die gleichen Finger bei einem Warmblüter nebeneinander unter dem Nasenriemen reichen nicht. Die Warmblüter können nicht kauen. Der Nasenriemen wird danach mit 2 Fingern übereinander Platz verschnallt. Nun können auch die Warmblüter die Schneidezähne weit genug voneinander entfernen und kauen.
Was bedeutet das für die 2-Finger-Regel?
Frauenfinger sind viel schmaler als die für die 2-Fingerregel ursprünglich wohl gedachten Männerfinger. Bei normalen bis grossen Pferdeköpfen reicht die 2-Finger-Regel, gemessen mit Frauenfingern nebeneinander, meist nicht aus. Bei schmalen Männerfingern und grossen Pferdeköpfen folglich ebenfalls nicht. Weitere Forschung auf diesem Gebiet, um diese Aussagen zu untermauern, sind wünschenswert.
Diesem Pferd werden viele natürliche Verhaltensweisen durch das zugesperrte Maul unmöglich gemacht.
Eine faire Lösung für alle Pferde?
Viele pferdeliebenden Menschen werden oben Geschriebenes nicht benötigen. Sie lesen die Mimik des Pferdes, können gänzlich auf Reithalfter verzichten oder haben sich so ausgiebig mit dem Thema beschäftigt, dass die korrekte Verschnallung für sie selbstverständlich ist.
Ausreichend locker verschnallter Kappzaum – ein kalt anformbares Naseneisen macht feine Hilfen möglich, ohne dass der Zaum verrutscht.
Der Karottentest
Hier ist es spannend, den Karotten-Versuch auszuprobieren. Und insbesondere muss klar sein, dass auch bei Kappzäumen und gebisslosen Zäumen mit Nasenriemen die lockere Verschnallung ein Muss ist.
Test: Ist der Nasenriemen korrekt verschnallt?
Dieser Versuch zeigt spannend auf, ob die eigene Einschätzung der Verschnallung korrekt ist.
- Schneiden Sie ein Karottenstück auf ca 15mm für einen mittleren Pferdekopf zu, bei einem Warmblut auf 18 mm.
- Verschnallen Sie das Reithalfter/den Kappzaum wie gewohnt.
- Schauen Sie ob Ihr Pferd das Karottenstück problemlos aufnehmen kann (mit den Schneidezähnen. Wer seitlich “einschiebt” schummelt!)
(Achtung: Pferde lieben Karotten und werden mit aller Kraft das Maul öffnen. Leder dehnt sich. Dann ist dieser Versuch nicht aussagekräftig. Die Pferde sollten das Maul locker öffnen können, ohne dass die Riemen das Maul dabei stark einschnüren.)
Wenn das Pferd die Karotte nicht aufnehmen kann, schnallen Sie das Reithalfter stückweise lockerer. Sobald das Pferd die Karotte gut nehmen kann, überprüfen Sie, ob die 2-Finger-Regel nebeneinanderoder übereinander zutrifft. Wir freuen uns über Ihr Feedback!
Diese Einstellung merken und das Reithalfter niemals enger schnallen!
Gleichberechtigung auf dem Turnier?
Doch wie steht es mit der Gleichberechtigung für Pferd und Reiter auf dem Turnier? Ist ein Reiter, der seinem Pferd die Nasenriemen ausreichend locker verschnallt im Nachteil? Und provokant gefragt: Dürfen Reiter die Riemen enger verschnallen, wenn eine schmalfingrige Frau kontrolliert? Und weiter, wenn der Kontrolleur ein Mann mit großen Händen ist?
Im Sport, in dem die Kontrahenten möglichst fair bewertet werden sollen und die Ausrüstung klar reglementiert ist, ein Sport, in dem viele Frauenhände mitmischen, aber diese Regel auf Männerhänden zu basieren scheint – da muss es doch ein einfaches, einheitliches Messsystem geben? Geben ja – eingeführt wurde es aber bisher nicht.
Beiträge zu diesem Thema
- Der Sperrriemen (Autor: Michael Geitner)
- Sperr-Riemen und Nasenriemen – die eingeschränkte Maulfreiheit (Autorin: Anke Roso)
- Ist die 2-Finger-Regel noch zeitgemäss? (Autorin: Anke Roso)
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