Frei vom Menschen
Arbeit und Freizeit. Wir Menschen interpretieren in diese Begriffe Assoziationen, die für unsere Pferde überhaupt nichts bedeuten. Geradezu verwerflich finde ich die heutigen Gepflogenheiten,...
Autorin: Steffi Kilcher
Panische, steigende und bockende Pferde…quälende angsterfüllte Augen…Wer hat dies nicht schon gesehen und sich gefragt, wieso Pferde so heftig reagieren oder so schweigsam erdulden?
Ich bin Autistin und durch diese autistische Wahrnehmung, kann ich die Pferde verstehen. Weshalb?
Pferde habe eine ähnliche Wahrnehmung wie ich. Eine hohe Wahrnehmung basierend auf Gefühlen. Für Pferde ist dies absolut überlebenswichtig, denn in der Natur sind sie ständig Gefahren ausgesetzt, auf welche sie unmittelbar reagieren müssen.
Ich fühle ihre Angst und ihre Verzweiflung. Durch mein Verständnis, das ich ihnen entgegenbringe, werden sie ruhig. Sie fühlen sich von mir verstanden. Das einzige, was die Pferde möchten, ist verstanden werden. Sobald dies geschieht, schliessen sie sich uns an. Freiwillig.
Angst vor Gerten und Peitschen, scharfen Sporen und Trensen, die in den Gaumen drücken, Nasenbänder, welche die Atemwege blockieren und das Schlucken von Speichel verhindern, Schmerzen von Sätteln, die nicht passen und scheuern, harte Arbeit ohne Pausen, Erschöpfung, Resignation, der Drang nach Bewegung, nach Zuneigung mit anderen Pferden, der Schrei nach Liebe und Verständnis…dies sind die erdrückenden Gefühle, die ich bei vielen Pferden in Reitställen fühle.
Die Abgestumpftheit der Menschen, die dies nicht merken, macht die Pferde traurig. Sie resignieren und lassen alles mit sich machen, oder aber sie wehren sich. Es gibt bei ihnen genauso verschiedene Charaktere, wie bei uns Menschen.
Pferde möchten Sicherheit. Sie möchten einen guten Anführer. Sie möchten einen Menschen, dem sie vertrauen können. Einem solchen Menschen bringen sie Respekt entgegen und mit ihm sind sie bereit, eine starke Bindung einzugehen. So kann sich eine tiefe, echte Liebe entwickeln.
Ein Pferd kontrollieren zu wollen, hat mit Liebe nichts zu tun. Kontrolle und Macht über ein anderes Wesen zu haben, ist definitiv nicht Liebe.
Ein guter Anführer kann individuell auf jedes Individuum eingehen. Um das zu können, braucht es EinFÜHLungsvermögen. Denn nicht jedes Individuum braucht den gleichen Führungsstil.
Ein Beispiel: wenn ich einem hochsensiblen Pferd zuviel Druck mache, wird es panisch. Es hat wirklich Angst.
Wenn ich hingegen einem nervenstarken, ranghohen Pferd zuviel Druck mache, wehrt es sich. Der gleiche Mensch, das gleiche Roundpen, die gleiche Übung – aber jedes Pferd wird anders darauf reagieren.
Führen heisst also auch, sein eigenes Tun in jedem Moment zu reflektieren. Genau das ist jedoch für die meisten Menschen schwierig. Weil es viel einfacher ist, den Fehler beim Gegenüber zu suchen, als bei sich selbst. Dies ist menschlich…dennoch für jeden sofort zu ändern. Verhaltensweisen können wir sofort ablegen. Wenn nur der Wille dazu da ist.
Wie fühlt sich ein Pferd, dass genau so geführt wird, wie es seinem Wesen und Charakter entspricht?
SICHER fühlt es sich. Geborgen und ernst genommen. Diese Gefühle machen es sanft. Es möchte bei uns sein. Da spielt es auf einmal keine Rolle mehr, ob ein 700kg schwerer Koloss vor einer kleinen zierlichen Frau steht. Hier geht es nicht um körperliche Kraft, sondern um innere Stärke. Wer fair, souverän und mit Gefühl führt, wird respektiert.
Führen bedeutet auch Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich eine Situation falsch einschätze, macht mein „Herdenmitglied“ hoffentlich nicht mit. Denn:
Leben will überleben.
Ein Beispiel: Vor kurzem machte ich einen langen Ritt, um mein Pferd vom alten in den neuen Stall zu bringen. Irgendwo mitten im Wald habe ich die falsche Abzweigung genommen. Mein Pferd bemerkte meine Unsicherheit sofort und wollte umkehren. Ich blieb jedoch eine Weile stur und verfolgte den falschen Weg einfach weiter, in der Hoffnung, nicht umdrehen zu müssen und den richtigen Weg wieder zu finden. Dem war jedoch nicht so. Dieser Weg führte in eine Sackgasse.
Führen heisst also auch, die Ressourcen des anderen zu anerkennen und nicht immer auf seinem Recht zu beharren.
So habe ich mich bei meinem vierbeinigen Partner für den Umweg entschuldigt und habe ihn eine Weile grasen lassen. Danach bin ich zwei Stunden neben ihm gelaufen. Demütig sein im richtigen Moment erschafft noch mehr Respekt.
Du kannst versuchen, dein Pferd zu fühlen. Fühle hin, wenn Du mit dem Pferd auf dem Reitplatz bist oder wenn Du reitest. Wenn sich dein Pferd wehrt, werde ruhig und fühle. Dann findest Du die Lösung.
Meine autistische Wahrnehmung, erlaubt es mir, sehr viel mehr wahrzunehmen. Ich bin aber davon überzeugt, dass jeder Mensch in der Lage ist, hinzufühlen. Es braucht nur den Willen, das Herz ein wenig zu öffnen.
In diesem Sinne wünsche ich Dir eine besinnliche, gefühlvolle Zeit mit deinem Pferd.
Teaser-Bild von Uki_71 auf Pixabay
Bild von Dorota Kudyba auf Pixabay
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