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An die Kandare nehmen?

von | Feb 28, 2022 | Ausrüstung, PASSION | 0 Kommentare

Die Passion hat  bei der bekannten Ausbilderin und Dressurreiterin Uta Gräf aus dem südwestdeutschen Bundesland Rheinland-Pfalz nachgefragt, wie ihre Sicht auf das Thema “Kandare” aussieht. Zudem meldet sich die süddeutsche Ausbilderin Sabine Ellinger zu Wort, um ein viel diskutiertes Thema ein wenig zugänglicher zu machen. Denn vor allem kommt es bei dieser Zäumung auf feines Reiten an.

An die Kandare nehmen?

Ein genauer Blick auf eine viel diskutierte Zäumung

Autorin: Alexandra Koch für das Schweizer Reitmagazin PASSION

Das Wort „Kandare“ stammt aus dem Ungarischen („kantár“) und bedeutet nichts anderes als „Zaumzeug“. Dies verdeutlicht, dass in vergangenen Jahrhunderten die Zäumung auf Kandare nicht weiter diskutiert wurde. Auf zahllosen alten Gemälden oder den Kupferstichen und Zeichnungen, welche die berühmten Reitmeister des 17. Jahrhunderts an den Höfen in Frankreich und in Italien zeigen, sind die abgebildeten Pferde auf Kandare gezäumt.

Dennoch ist es keineswegs eine „Modeerscheinung“, dass man heute genauer hinsieht und eine Zäumung wie die Kandare in Frage stellt. Denn eine Tatsache ist unumstößlich: In ungeübten Händen bzw. falsch angepasst kann die Kandare dem Pferdekörper Schmerzen und Verletzungen zufügen.

Die Passion hat daher bei der bekannten Ausbilderin und Dressurreiterin Uta Gräf aus dem südwestdeutschen Bundesland Rheinland-Pfalz nachgefragt, wie ihre Sicht auf das Thema aussieht. Zudem meldet sich die süddeutsche Ausbilderin Sabine Ellinger zu Wort, um ein viel diskutiertes Thema ein wenig zugänglicher zu machen. Denn vor allem kommt es bei dieser Zäumung auf feines Reiten an.

Kandare

Kein Nonplusultra

Grundlegend versteht man unter der Kandare ein Stangengebiss. Es ist nicht gebrochen und hat dadurch eine starke Hebelwirkung. Ober- und Unterbaum an den Seiten bilden einen Hebel. Bei der klassischen Dressurkandare kommt zur Kandarenstange eine Unterlegtrense hinzu. Es gibt andere Kandaren (Springkandare, Islandkandare…), welche auf die Unterlegtrense verzichten. Bei der klassischen Dressurkandare bildet die Kinnkette einen weiteren Teil der Zäumung. Im Reitsport darf die Kandare ab Klasse L zum Einsatz kommen. Besonders bekannt ist es als Gebiss von Dressurpferden der Klasse S.

Uta Gräf möchte gleich zu Beginn auf ein wichtiges Thema eingehen: Die Pflicht zum Reiten mit Kandare in Prüfungen der Klasse S, die in Deutschland nach wie vor besteht. Die FEI hatte diese Pflicht bei Prüfungen 2019 ausgesetzt und bei internationalen Prüfungen bis Zwei-Sterne-Niveau (CDI1* and 2*, CDIO2*) eine Wahlfreiheit zwischen Trense und Kandare erlassen. Für CDI/CDIO3*/4*/5*/U25 besteht die Pflicht bei internationalen Prüfungen allerdings nach wie vor.

In der Schweiz ist in der kleinen und großen Tour in Klasse S sowie auf L- und M-Niveau die Wahlfreiheit zwischen Kandare und Trense gegeben (Dressur-Reglement der FNCH: „Zäumung für die Prüfungen der Stufen L, M und S (kl. u. gr. Tour) wahlweise Trensen (exkl. Unterlegtrense) oder Kandarenzäumungen.“)

„Diese Wahlmöglichkeit finde ich am Reglement in der Schweiz und anderen Ländern wie Luxemburg und Österreich sehr gut“, erklärt Gräf. „Da sind sie echte Vorreiter, denn warum sollte man jedes Pferd zwangsläufig auf Kandare reiten müssen. Einige gehen auf Trense deutlich besser. Die Kandare ist kein Nonplusultra für das Reiten in den höheren Klassen! Wichtig ist aber, dass es keine Differenzierung in der Notenverteilung geben darf. Es darf kein Vorteil sein, wenn man auf Kandare oder Trense reitet. Das muss exakt gleich bewertet werden – und dann sehe ich keinen Hinderungsgrund, dem Reiter diese Wahlfreiheit zu überlassen!“

Gebiss mit Geschichte

Der Gebrauch der Kandare wurde erstmals in arabischen Schriften um das Jahr 650 n. Chr. erwähnt. Auch die ungarischen Reitervölker sollten im Frühmittelalter eine kandarenähnliche Zäumung genutzt haben, um ihre Pferde besser kontrollieren zu können. Sie nutzten zusätzlich zur normalen Trense ein weiteres Gebiss und Zügel. Daher rührt auch der bereits erwähnte Wortursprung des Begriffes.

Die „Kandare“ ist im Deutschen erst seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Zu jener Zeit wurde diese im Zuge der barocken Reiterei an den Höfen Europas von den Meistern jener Zeit wie Pluvinel genutzt. Er war einer der Reformatoren, der mit viel Lob anstatt strengen Strafen beim Pferd arbeitet. François Robichon de la Guérinière ritt etwa 100 Jahre später stets einhändig, womit eine besonders feine Handhabung möglich wurde. Neben der Kandare nutzte er auch Trensengebisse. Er sah die Zügelhilfen als Bewährungsprobe für feines Reiten und arbeitete erstmals mit den Begriffen der heutigen Skala der Ausbildung.

Uta Gräf zeigt mit einem Zitat von Xenophon, dem griechischen Reiterführer aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, was bei der Reiterei immer besonders wichtig ist. „Deine Hand darf unter keinen Umständen das Pferd im Maul stören. Erziehe dich dazu, in jedem Fall Ruhe zu bewahren und deine Emotionen zu kontrollieren.“ Die stammt zwar aus einer Zeit, wo die Kandare als solche noch nicht genutzt wurde, aber spricht das an, was auch bei ihrer Nutzung immens wichtig erscheint. Im 16. Jahrhundert wurden die Schriften Xenophons erstmals in mehrere Sprachen übersetzt und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Uta Gräf erklärt, dass es immer wieder Reiter gibt, die eine neue Reitweise propagieren und alles Althergebrachte überholen wollen. Sie verweist auf die alten Meister und auf Harry Boldt mit seinem großartigen Buch „Das DressurPferd“ (1978, als Neuauflage von 2011) und betont, dass „Fair zum Pferd“ sein vor allem anderen steht. Dies stellten auch viele der alten Meister in den Vordergrund. „Es sollte ein Ziel sein zu zeigen: Klassische Dressurausbildung geht immer noch. Und sie geht gut!“ Allerdings sollte auch auf Offenheit, neuen, sinnvollen Regeln gegenüber – wie eben im Falle der Kandare – nicht verzichtet werden.

Priska Reutimann

Zweite im M22 in Ibach, geritten auf Trense: Priska Reutimann auf Charm

 

Kandare – eine Zäumung mit Fragezeichen

Die Kandare hat in Reiterkreisen schon so manche Diskussion losgetreten. Sie kann – in geschulten Händen – zur Verfeinerung der Hilfen beitragen, aber bei ungeübten Reitern auch das Gegenteil und schlimmstenfalls gesundheitliche Schäden beim Pferd bewirken.

Die Hilfengebung muss in jeder Hinsicht immer fein vor sich gehen. Das gilt nicht nur bei der Zäumung auf Kandare, sondern für jegliches Gebiss. „Es gilt, den treibenden Impuls von Kreuz und Schenkeln aus der Hinterhand über den Rücken und das Genick des Pferdes am Gebiss in der Hand federnd entgegenzunehmen“, betont Gräf. „Eine uralte Weisheit lautet: Nur so viel in die Hand bekommen, wie man von hinten hineintreibt. Die Kunst ist es dann, sofort nach dem kurzen Moment des „Abstoßens“ vom Gebiss eine ganz feine Verbindung anzubieten, die dem Pferd angenehm ist.“ Bei der Kandare ist wichtiger denn je, dass die Hand des Reiters vollkommen unabhängig vom Sitz des Reiters agiert.

Dressurausbilderin Sabine Ellinger aus der Nähe von Stuttgart, die wie Gräf immer wieder zu Kursen in die Schweiz fährt, betont, dass an gutem Reiten stets intensiv gearbeitet werden sollte. „Feinfühliges Reiten mit feiner Hand und das Herantreten des Pferdes an alle vier Zügel ist das Ziel beim Reiten auf Kandare.“

Ein bedeutsamer Schritt

Für Dressurpferde, die für das höchste Leistungsniveau ausgebildet werden, steht der Schritt irgendwann während der Ausbildung bevor, dass sie viel Metall (Kandare und Unterlegtrense) im Mund tragen. Ein großer Schritt für ein junges Pferd. Für einen Reiter, der sich mit der Handhabung von zwei Zügeln pro Hand noch nicht auskennt, gilt exakt das Gleiche. Und so muss beim Erarbeiten des Reitens auf Kandare in jeder Hinsicht viel Zeit eingeplant werden. Bevor das Pferd erstmals mit den zwei Gebissen im Maul geritten wird, sollte es alle Lektionen der Klasse L sicher beherrschen, betonen Gräf und Ellinger gleichermaßen. „Das Niveau, das Reiter und Pferd bei Prüfungen der Klasse L erreicht haben, kann als guter Maßstab dienen, wann man erstmals über den Nutzen einer Zäumung auf Kandare nachdenken kann“, so Uta Gräf.

Dressurausbilderin Sabine Ellinger erklärt, dass sowohl Reiter als auch Pferd ein gewisses Niveau vorweisen müssen, um mit dem Reiten auf Kandare zu beginnen. „Meine Erklärung dazu lautet: Kandarenreif ist ein Reiter, wenn er einhändig auf Trense alle Seitengänge reiten kann. Kandarenreif ist ein Pferd, wenn es sich einhändig auf Trense in allen Seitengängen reiten lässt.

Sabine Ellinger

Sabine Ellinger mit Marujo

 

Passform wichtig

Uta Gräf betont, dass es sehr wichtig ist, dass die Kandare dem Pferd exakt passt. „Das Gebiss wirkt viel stärker als eine Trense auf das Pferdemaul und Genick ein. Eine unpassende Kandare würde in jedem Fall Schmerzen verursachen.“ Ist das Gebiss zu breit, kann es sich verkanten und einseitig stärkeren Druck erzeugen. Wenn die Stange zu schmal ist, können Ober- und Unterbaum seitlich einengen und an den Lefzen scheuern. „Die Kandare und Unterlegtrense müssen sorgfältig für das jeweilige Pferd ausgewählt und angepasst werden. Dicke der Gebisse, Zungenfreiheit und Länge der Bäume sind ganz individuell zu sehen. Das erfordert Zeit und viel Ausprobieren“, betont Sabine Ellinger.

Uta Gräf hat einen Tipp parat für all jene Pferde, die auf S-Niveau mit Kandare geritten werden sollen, aber mit dem vielen Metall im Mund nicht so gut zurechtkommen: „Hier habe ich gute Erfahrungen gemacht mit Kandaren aus Kunststoff. Diese werden von den Pferden oft besser angenommen. Allerdings finde ich, wie ich bereits zu Anfang betont habe, viel mehr Nutzen darin, keinen Zwang zur Kandare in den höheren Klassen mehr zu haben.“

Was dem Pferd gut tut

Uta Gräf sieht kein Problem darin, Lektionen der höchsten Klasse auch auf Trense zu reiten. „Der Großteil meiner Pferde wird die meiste Zeit auf Trense geritten. Diese nutze ich auch bei Lektionen auf S-Niveau. Allerdings rate ich jedem Reiter, sein Pferd immer genau zu beobachten – oder zusätzlich durch einen Trainer bzw. erfahrenen Reitlehrer beobachten zu lassen. Wie reagiert das Pferd auf die jeweilige Zäumung? Es gibt durchaus Pferde, die lassen sich auf Kandare um ein Vielfaches besser und feiner reiten. Dann sollte da auch kein Hinderungsgrund bestehen.“

Sie vergleicht das Thema mit der Tatsache, dass manche Reiter niemals mit Sporen reiten würden, obgleich diese nicht selten viel gezieltere und feinfühligere Hilfengebung bewirken können. Ein Abstumpfen sei ja oft viel mehr gegeben, wenn das Pferd ständig mit den Hacken „bearbeitet“ würde, selbst wenn dies unbewusst geschieht. Die Kandare zu verteufeln sei daher unangemessen. Dennoch sollte der Einstieg langsam und Schritt für Schritt geschehen.

„Ich mache gern den Ratschlag, dass der Reiter sein Pferd ja, solange er für sich selbst unterwegs ist und trainiert, dies auf Trense tun kann. Und im Unterricht oder bei Lehrgängen übt er sich im Reiten auf Kandare. Der Vorteil ist, dass er in diesem Fall einen erfahrenen Beobachter vom Boden hat, der oft viel mehr sieht als was der Reiter oben auf dem Pferderücken wahrnimmt. Das gilt vor allem dann, wenn der Reiter in seinem ersten Stunden auf Kandare sich selbst auf seine Hände und die auf einmal vier Zügel darin konzentrieren muss.“

Gräf betont, dass Reiter immer auch gute Beobachter sein müssen. „Für das Reiten auf Kandare gilt, dass man es richtig macht, wenn das Pferd sich daraufhin auch auf Trense besser reiten lässt. Daher sollte der Reiter auch immer wieder zwischen den unterschiedlichen Gebissen wechseln und seine Beobachtungen notieren und diese gegebenenfalls mit dem Reitlehrer auswerten.“

Niemals darf das Reiten auf Kandare dazu dienen, schneller an sein gewünschtes reiterliches Ziel zu kommen bzw. die Ausbildung des Pferdes zu „beschleunigen“. „In diesem Fall ist sie völlig fehl am Platze“, betont Uta Gräf.

Uta Gräf

Uta Gräf mit San Diamond

 

In vielen Reitweisen vorhanden

Auch wenn die meisten Beobachter die Kandare wohl aus dem Dressursport kennen, ist sie längst nicht nur dort verbreitet. Besonders häufig sieht man die Kandare auch in der Barockreiterei, als Westernkandare und in der Working Equitation. „Mein Ehemann Stefan Schneider ist in der Working Equitation unterwegs und beschreibt, dass das Reiten auf Kandare in der dortigen „Master Class“ eine besonders feinfühlige Hilfengebung ermöglicht. In dieser Klasse wird ausnahmslos einhändig auf Kandare ohne Unterlegtrense geritten. In den niedrigeren Klassen werden Gebisse mit Hebelwirkung mit zwei paar Zügeln geritten.“ Die Grundausbildung des Pferdes erfolgt in der Working Equitation allerdings wie im klassischen Dressursport auf Trense.

Uta Gräfs Fazit zur Kandare lautet, dass diese auch jenseits des großen Sports eingesetzt werden kann, sofern sich das Pferd damit besser reiten lässt.

„Voraussetzung ist allerdings immer gefühlvolles Reiten und eine feinfühlige Hand.“


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