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Wenn die Biomechanik von Reiter und Pferd das Training bestimmen

von | Jun 4, 2023 | Ausbildung, Gesundheit, PASSION | 0 Kommentare

Wenn die Biomechanik das Training bestimmt

Autor: Patrick Rüegg für das Schweizerische Reitmagazin PASSION

Seit mehr als 20 Jahren wird mein Leben als Berufsreiter, Ausbildner und Pferdesportler bestimmt. In den vergangenen Jahren wurde für mich die Biomechanik von Reiter und Pferd immer wichtiger und verhalfen mir zu größeren Erfolgen.

Biomechanik verstehen heisst, sich mit der eigenen Psyche und Körper und der des Pferdes auseinander zu setzen und sich selbst immer wieder zu hinterfragen. Nur so können zielführende und nachhaltige Lösungen entstehen. Um einen kurzen Einblick zu geben, gebe ich hier ein paar Ansätze, die in meinem Reiterlichen Alltag eine Rolle spielen.

Patrick Rüegg

Patrick Rüegg: Eidg. dipl. Reitlehrer, Mitglied des Elite Kader in der Disziplin Concours Complet, Teilnehmer an den EM 2021 in Avenches und WM 2022 in Pratoni. Lehrgangsleiter der höheren Berufsbildung in den Pferdeberufen der Schweiz.

Wenn es mit dem Erfolgspferd Fifty-fifty in der Dressur immer besser wird …

Als Reitsportler hat man den Anspruch mit dem Partner Pferd so schnell wie möglich die besten Leistungen erbringen zu wollen. Mein aktuelles Erfolgspferd Fifty-Fifty verweigerte den Dienst beim Dressurreiten, nach der Aufnahme in das Elite Kader des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport. Effizientes Trainieren und falschen Ehrgeiz nicht zu verwechseln, gestaltete sich in der Praxis als nicht einfach. Ich war gezwungen mich bei der Gestaltung der Trainingseinheiten mehr zu reflektieren. Häufige Wiederholungen von einzelnen Dressurlektionen brachten meine Stute an ihre Grenzen, die Stute bekam Probleme mit ihrer Tragfähigkeit und verlor die Kraft in ihren Bewegungsabläufen.

Ein wesentlicher Aspekt eines effektiven Trainings ist das «Pausenmanagement». Durch viele aktive Pausen im Schritt am langen Zügel oder im Trab leichtreiten beim Zügel aus der Hand kauen lassen, kann sich der Pferdekörper erholen. Mein Training mit Fifty gestaltet sich in Reprisen von maximal 5-6 Minuten mit einer darauffolgenden Pause von 2-3 Minuten. Es ist in der Regel nicht sinnvoll längere Phasen in höchster Konzentration und maximal ausgeführten Bewegungsabläufen zu trainieren als in einer Dressuraufgabe verlangt wird. Fifty reagiert sehr positiv auf diese Trainingssystematik, ist aktiver und motivierter bei der Arbeit, was mir als Reiter folglich ein sehr gutes Gefühl gibt.

Gezielte Ansteuerung meines Sitzes durch Bewegungsfreiheit im Sattel ist für mich zentral und hilfreich um wirkungsvoll zu trainieren. Durch meine Körpergröße wird das Mitgehen in die Bewegung und das Übereinstimmen meiner Schwerpunktlinie mit der meines Pferdes nicht einfacher. Das Gefühl des Reiters ist manchmal trügerisch und bedeutet nicht unbedingt eine gleichmäßige Belastung der Sitzbeine, darum ist es wesentlich auch die Reaktion des Pferdes als Antwort zu registrieren um die Hilfengebung zu effektivieren! Mein Pferd gibt mir die Antwort wie es am Einfachsten geht bei der Ausführung von Linienführungen und Lektionen. Somit reite ich verschiedene Linienführungen oder Lektionen in der Dressur mit kleinen Veränderungen in der Sitzposition. Dies äussert sich zum Beispiel beim Verschieben der Beckenposition, zum Beispiel linke Hüfte mehr nach vorn und weniger Belastung auf dem linken Gesässknochen, in der Wiederholung mit mehr Belastung des Gesässknochens, Pause und kurze mentale Analyse, in welcher Sitzposition die Ausführung für das Pferd einfacher und visuell mit mehr Ausdruck war.

Aufwölben

Das Aufwölben des Rückens ist eine hervorragende Rückengymnastik und dient zur Kontrolle des korrekten Tiefpunktes vom Sattel in der positiven Aufspannung des Rückens.

Entwicklung der Bewegungsstärke in den Grundgangarten bei Jungpferd «Hosana»

Die Anglo-Araber Stute hat korrekte, jedoch nicht überdurchschnittliche Grundgangarten. Für mich als Ausbildner ein zentraler Ansatz, die Bewegungsabläufe möglichst optimal weiter zu entwickeln. Eine Herausforderung bei Jungpferden, insbesondere bei den eher spätentwickelten Anglo-Arabern, sind die körperliche Entwicklung und das Wachstum. Neben der Biomechanik, zu welcher meine Trainerin immer wieder Empfehlungen zu Takt, Tempo und Haltung des Pferdes gibt, ist das Hineinfühlen in das Pferd äusserst wichtig. Die normalerweise sehr gehfreudige Stute hatte immer wieder Phasen mit weniger grossem Vorwärtsdrang und überdurchschnittlich vielen Liegepausen in Boxe und Paddock. Das Pferd gab täglich das Pensum vor, wie viel und wie intensiv gearbeitet wurde. Längere Ausritte im Schritt bergauf und bergab, auf verschiedenen Bodenbeschaffenheiten wie Waldboden, befestigten Wiesenwegen oder asphaltierten Strassen liessen es zu, dass sich das junge Pferd weiter entwickeln und dabei Gleichgewicht, Trittsicherheit und Motorik weiter optimieren konnte.

Mittlerweile bewegt sie sich in den Grundgangarten in einer guten Vorwärtsbewegung in Selbsthaltung, mit der Nase in Höhe Buggelenk. Durch das fleißige, aber nicht eilende Vorwärtsgehen wird die Aktivität der Hinterhand gefördert und raumgreifende Tritte aus der Schulter angestrebt. Elementar beachte ich immer wieder Takt und Tempo.

In der Galopparbeit stellt sich die Herausforderung trotz der guten Rittigkeit der Stute, dass sich bei der Entwicklung der Tragkraft die Galoppsprungqualität verschlechtert. Visuell ist kaum «Bergauf-Tendenz» mehr erkennbar. In der Einbeinstützphase vorn (siehe Bild) fällt das Pferd zu sehr auf die Vorhand und das Brustbein sinkt nach unten ab.

Wir arbeiten daran, die biomechanischen Abläufe und damit die Tragfähigkeit im Galopp durch die Aktivierung der Hinterbeine und mit Hilfe kleiner Sitzveränderungen unter Berücksichtigung des Pferdeschwerpunktes zu verbessern. Selbstverständlich beachte ich dabei die Ausbildungsskala bezüglich Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung und Geraderichtung. Bewusst fehlt bei der Aufzählung die Versammlung, da sie im Moment noch sekundär ist und nicht zu erarbeiten ist. Erst wenn die biomechanischen Abläufe stabilisiert sind, werde ich mit der Arbeit zur Versammlung beginnen oder Hosana wird zunehmend Versammlungsbereitschaft offerieren, da sie nun körperlich dazu bereit ist.

Der Reithallenspiegel als kritischer Begleiter …

Es wäre anzunehmen, dass mein Sitz durch das häufige Reiten automatisch immer besser würde. Aber meine Oberkörperposition überprüfe ich täglich im Reithallenspiegel oder mit Videoanalysen. Ein leicht runder Rücken mit ein bisschen Rücklage hat fatale Auswirkungen auf den Bewegungsablauf der Pferde. Es ist biomechanisch nicht möglich, dass der Bewegungsablauf des Pferdes optimal funktioniert, wenn meine Sitzbeine nicht senkrecht im Sattel synchron zum Pferderücken auf und ab schwingen. Der Rundrücken und somit auch die Beckenposition verschieben die Sitzbeine in eine Position, in welcher sie die Vorhand des Pferdes blockiert. Das optimale Aufwölben des Rückens ist biomechanisch nicht mehr möglich und das Pferd entwickelt Kompensationsstrategien um den Reiter tragen zu können. In der täglichen Trainingsarbeit überprüfe ich visuell meine Sitzposition immer wieder und justiere mein Körper im Sattel neu.

Gutes Reiten alleine reicht nicht aus …

Ich habe festgestellt, dass sich die Muskulatur des Pferdes im Hals-, Rückenbereich durch eine bewusstere Reiterbelastung und somit bewussteres Training verändert. Daher überprüfe ich beim Aufsatteln immer wieder die Lage der Sattelposition bei aufgewölbtem Rücken (siehe Bild). Für das Aufwölben des Rückens gebe ich einen Impuls mit den Fingern, am untersten Punkt der Gurtenlage, daraus resultieren zwei Effekte, das Überprüfen der Sattellage und das Gymnastizieren des Pferderückens.

Relevant erachte ich aber auch, dass die Pferde mental ausgeglichen mit genügend Abwechslung trainiert werden und auch die Haltung zu einer mentalen Stabilität beiträgt, so dass meine Trainingsansätze auf fruchtbaren Boden fallen und die Psyche des Pferdes eine reiterliche Ausbildung zulassen kann.

Einbeinstütze

Das Pferd fällt im Galopp in der Einbeinstützphase auf die Vorhand und das Brustbein sinkt dabei ab.

Fotos: zur Verfügung gestellt

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Passion
PASSION denkt nicht in Sparten oder Disziplinen. Das Magazin ist offen und aufgeschlossen gegenüber allen Facetten der Reiterei. Und wir sind überzeugt, dass jeder Pferde-Fan mit der nötigen Offenheit auch von den Erfahrungen, den Ideen und dem Wissen aus anderen Bereichen der Pferdewelt profitieren kann. Eines bleibt immer gleich: unser Partner ist ein Pferd. Und das ist unsere PASSION.

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